Spirituals, die unter die Haut gehen
Ein Gospelchor mit Mitgliedern weißer Hautfarbe ist immer so eine Sache. Den "Gringos" traut man einfach nicht den Rhythmus im Blut zu, wie ihn die Farbigen besitzen. Nicht so beim "Gospel-Train" aus Gars.
Er hat sich rekrutiert aus derzeitigen und ehemaligen Schülern des dortigen Gymnasiums. Während seiner Schulzeit habe er ebenfalls für kurze Zeit im Gospelchor gesungen, erzählte Ortholf Freiherr von Crailsheim den über 300 Zuhörern. Aber eben nur kurz, wie der Schlossherr launig hinzu fügte.Allen "verbliebenen" rund 50 Sängerinnen und Sängern ist der Rhythmus zwar nicht in die Wiege gelegt worden, aber doch längst in Fleisch und Blut übergegangen. Sie stehen nicht stocksteif wie so manche andere Mitglieder eines Gospelchors auf der Bühne. Sie wippen im Takt, klatschen oder strecken die Arme in die Höhe -und das alles wirkt völlig natürlich.
Ebenso ist der Chor stimmlich in der Lage, die Freude und das Leid der Südstaatler auf den Baumwollfeldern zum Ausdruck zu bringen. Vor allem aber ihren Glauben an Gott und die Hilferufe an ihn: "My good Lord", "So get up", "What a friend we have in Jesus" oder "In the sanctuary".
Auch bei diesem Gospel ragte in Amerang die ehemalige Garser Gymnasiastin Stefanie Sax als Solistin mit ihrer tollen Jazzstimme heraus und wurde zum Liebling des Publikums.
In der Band ist Pianist Rolf Clement der Star, der auf Schloss Amerang mit hervorragenden Improvisationen glänzte. Doch auch Sigi Niedermeier am Schlagzeug und Stefan Christofori am E-Bass begeisterten die Zuhörer. Und immer wieder löste sich Steffi Wembacher aus dem Chor und blies eine "heiße Kanne" am Saxofon. Chorleiter Michael Gäßl, der sich auch als Solist in "Who will your captain be?" präsentierte, legte sich voll und mit ganzem Körpereinsatz ins Zeug.
War schon das erste Set recht überzeugend, so geriet das Ameranger Publikum im zweiten völlig aus dem Häuschen. Der in Alabama geborene Mel Canady ist mit einer Soulstimme gesegnet, die wiederum beweist: Es sind halt doch die Farbigen, die die Spirituals "erfunden" haben. Und bei allem Respekt für den Garser Gospel-Train: Erst mit dem Auftritt von Mel Canady ging der Zug so richtig ab. Der Chor gab sich dabei mit Refrains zufrieden, gleichwohl er durchaus mit Tempo und Rhythmus des Sängers mithalten konnte.
Innige Gospels wie "Jesus, my Jesus" sang Mel Canady so gefühlvoll, dass sie wirklich unter die Haut gingen. Aber auch mit seiner Stimmgewalt riss Canady das Ameranger Publikum zu Beifallsstürmen hin. Es flippte aus bei "I love to praise his name" oder "I need a church to praise my God". Der Sänger, der in letzter Zeit bei Konzerten der drei Generationen der Familie Max Greger für Furore sorgte, riss auch die Ameranger Zuhörer mit.
Mit Ovationen im Stehen forderten sie gleich vier Zugaben. Sie klatschten und sangen zu "Swing low, sweet chariot", "Down by the riverside", "Oh happy day" und der Wiederholung von "Jesus, my Jesus". Eine Dreingabe zu dem fast dreistündigen Konzert war ebenso die stimmungsvolle Kulisse von Schloss Amerang. Nicht nur im Innenhof und auf den Arkaden strahlten unzählige Lichter. Auch die Zugbrücke war in den Schein von riesigen Kerzen getaucht.
Von Gertie Falk
Erschienen im OVB, 14.08.2008